2011 haben wir unser damaliges Segelboot „Evergreen“ über Flüsse und Kanäle von Heeg (NL) nach Port-St.-Louis-du-Rhône (FR) überführt. Jetzt haben wir ein anderes Boot, die „Summertime“ und wir sind auch nicht mehr – wie 2011 – zu zweit, sondern zu dritt. Jetzt sind wir mitten in den Vorbereitungen für unseren nächsten Überführungs-Törn. Wieder auf Flüssen und Kanälen, diesmal von Fehmarn durch Deutschland nach Hindeloopen (NL), wo die Summertime ihren neuen Heimathafen haben soll.
Die Überlegungen haben im Grunde schon mit dem Kauf des Bootes begonnen – Fehmarn ist von Meckenheim aus eine ziemliche Strecke entfernt und „kurz mal für das verlängerte Wochenende auf’s Boot fahren“ scheidet als Möglichkeit somit aus. Darüber hinaus wollen wir die Summertime in Eigenarbeit „up-cyceln“, da wäre es auch praktisch, nicht erst 6 Stunden Fahrt vor sich zu haben, sondern bloß 3,5 Stunden.
Anfangs hatten wir überlegt, noch ein Jahr in der Ostsee zu segeln und die Summertime dann durch den Nord-Ostseekanal und nach anschließendem Inselhopping in der Nordsee weiter binnen auf der „Staaende Mast Tour“ nach Hindeloopen zu bringen. Aber unser jüngstes Crew-Mitglied Amelie möchte gerne wieder nach Holland – so schnell wie möglich. Angesichts der Tatsache, dass sie noch nicht ausreichend gut genug schwimmen kann, war uns dann aber die Tour über die Nordsee zu heikel. Und so haben wir uns nun eine Binnenroute ausgeguckt. Sie führt grob über folgende Wegpunkte: Fehmarn – Lübeck – Braunschweig – Hannover – Osnabrück – Rheine – Meppen – Emden und dann die Staaende Mast Tour (wir fahren zwar ohne Mast, sind aber für einige Durchfahrten trotzdem zu hoch mit dem Decksaufbauten) von Delftzijl nach Lemmer und schließlich nach Hindeloopen.
Wir starteten unsere Reise am Dienstag, den 6. Juli 2021 um 11 Uhr. Unser Freund Dirk hatte sich freundlicherweise bereit erklärt, mit uns nach Fehmarn zu fahren und das Auto wieder nach Meckenheim zurückzubringen. Eine große Erleichterung, denn wir hatten schon hin und her überlegt, wie wir dieses logistische Problem lösen könnten. Ninas „Babybomber“, ein Renault Scénic, hatten wir mit einer „Tetris“-Meisterleistung gestrichen voll gepackt. Gegen 18 Uhr kamen wir im Yachthafen Burgtiefe auf Fehmarn an. Wir waren sehr gespannt, ob die Summertime startklar sein würde: Im August 2020 hatte Konrad verschiedenste Arbeiten am Boot in Auftrag gegeben. Die Kommunikation mit dem Bootsmechaniker erwies sich jedoch als schwierig. Kurz, wir wussten nicht, was uns erwarten würde. Wir fanden die Steuerbordkabine mit Werkzeug und Kanistern belegt, sowie die Abdeckung zu Elektrik und Steuerrad demontiert (s. Foto). Was konnte das bedeuten? Der Antwort kamen wir näher, als uns im Lauf des Abends eine SMS informierte, das offenbar etwas mit der Lenkung nicht in Ordnung war und der Steuerzug getauscht werden musste. Für den kommenden Tag um 10 Uhr kündigte sich der Mechaniker an. Er kam nicht und reagierte auch nicht auf SMS oder Anrufe. Banges Warten. Am Donnerstag schließlich die Nachricht, er hätte sich verletzt und könne erst Freitag vor Ort sein, um den Steuerzug einzubauen. Das hat er dann tatsächlich auch gemacht. Bis dahin bedeutete das für Konrad, dass er auf dem Sofa im Salon schlafen musste – die Kabine war ja nicht zu benutzen.
Am Samstag (10. Juli) verlies uns Dirk und fuhr Ninas Auto wieder zurück nach Meckenheim – nicht ohne vorher noch Frischfisch von der Fischereigenossenschaft in Burgstaaken mitzunehmen. Wir vergnügten uns in den folgenden Tagen mit dem Besuch des Fehmare (einmal mit Mama und einmal mit Papa), da Amelie unbedingt schwimmen können möchte. Außerdem besuchten wir die drei Ausstellungen Galileo Wissenswelt, Dinopark und Überseesammlung, einschließlich Goldwaschen, Edelsteinausgraben, Draisine fahren und Erdbebensimulation - Das Dunkelexperiment hatten wir schon 2020 gesehen resp. ertastet.
Der Dienstag (13. Juli) war besonders Arbeitsintensiv: Vormittag wurde der Mast abgebaut und samt Baum, Staken und Wanten in Strechfolie verpackt (Konrad und Mirko). Er wird nächste Woche per Laster nach Hindeloopen gebracht. Wir haben die neue Beschriftung angebracht. Amelie und Nina waren am Südstrand in der Ostsee baden und Mirko hat am Motor rumgeschraubt.
Gestern (14. Juli) baute Mirko noch die Außenborder-Halterung für unseren Notmotor an und tauschte in der Bord-Elektrik einige Kabel gegen dickere aus. Endlich sind wir startklar für die Überführung!
Um 10.15 Uhr hieß es Leinen los in Burgtiefe. Das eigentliche Abenteuer beginnt. Kein Wind und entsprechend fast kein Seegang bei nahezu wolkenlosem Himmel waren für unser Segelboot ohne Mast und Segel ideale Bedingungen. Trotz Routenplanung am Vortag kam ich auf meinem Spickzettel durcheinander und änderte den Kurs zu früh. Dennoch erreichten wir die Hafeneinfahrt Travemünde problemlos. Die Summertime brummte gutmütig mit 5,5 Knoten durch die Ostsee.
Ein Anruf von See um 15.20 Uhr sicherte uns einen Platz im gewünschten Hafen. Steg C, Box 10. Als wir ca. eine Stunde später ankamen fing dennoch die Sucherei an. Die unorthodoxe Anordnung der Boxen – am Nachbarsteg D war Platz 10 von See kommend der erste, an unsrem Steg der letzte – gab mir Gelegenheit die Manövriereigenschaften des für mich noch neuen Bootes gründlich zu testen, zumal der Abstand der Stege sehr eng gewählt worden war. Die Marina Baltica gewann bei näherer Betrachtung. Amelie war gleich vom Swimmingpool begeistert, obwohl es recht tief ist und sie nirgends stehen kann und auch das Hafenlokal hinterließ einen passablen Eindruck.
Und die Summertime? Der Motor lief problemlos, die Batterien wurden mit etwa 14 Volt geladen. Ob der Drehzahlmesser korrekt ist, ist fraglich. Die Motortemperatur wird nicht angezeigt und wie voll – oder leer – der Tank ist, wissen wir auch nicht. Aber für die Temperatur gibt es ja noch das Warnlämpchen und den Warnton. Mechaniker Mirko hatte im Übrigen zugesagt am Freitag noch mal dran zu gehen, zumal er dann in der Nähe zu tun hat und uns gebeten hatte, erst am Donnerstag zu fahren. Auch der Außenborder ist in Sachen Öl und Benzin leider undicht. Da wollte er auch noch ran.
Freitag, 16. Juli
Nach dem Frühstück ging es zu den Travemünder Sandskulpturen. Das Thema, das die Künstler erst bei Ankunft erfuhren, ist in diesem Jahr „Flora und Fauna“. Anschließend sind wir mit dem Bus nach Lübeck gefahren. Amelie war jedoch etwas unleidlich und auch eine Pizza wollte nicht helfen. Wir kauften Marzipan bei MEST – ein Tipp von Omi. Amelie plagte die Hitze des Tages und so war ein Bad im Marina-eigenen Pool eine angenheme Erfrischung. Außerdem ist das Projekt „Schwimmen“ ja noch auf Amelies Liste und so übte sie tapfer erst mit Mama, dann mit Papa.
Der Mechaniker, der sich mit uns in Travemünde verabredet hatte, lies leider wieder nichts von sich sehen und hören …
Nachricht aus der Heimat: Bruder Hannes und seine Frau Lilly mussten evakuiert werden, da man befürchtete, der Staudamm Steinbachtalsperre könne nach den starken Unwettern brechen.
Samstag, 17. Juli
10.30 Uhr verließen wir die Marina Baltica in Travemünde die Trave aufwärts Richtung Lübeck. Wir umrundeted die Altstadt auf einem der mittelalterlichen Stadtgräbe und fuhren weiter auf dem Elbe-Lübeck-Kanal richtung Süden. An der Schleuse Berkenthin war allerdings schluss, da die nächste Schleuse noch repariert werden musste. Vor der Schleuse sammeln sich noch einige Leidensgenossen mit ihren Booten. Der freundliche Schleusenwärter hat uns sogar den Stromkasten aufgesperrt, damit wir unsere Geräte wieder laden konnten. Im Gegensatz zu Evergreen versorgt der Motor, wenn er läuft die 220V-Steckdosen an Bord leider nicht.
Sonntag, 18. Juli
Um 10 Uhr sind wir durch die Schleuse gefahren. Nach unspektakulärer Fahrt mit drei Schleusen durch die malerische Parklandschaft, vorbei an Mölln erreichten wir das Tagesziel Lauenburg gegen 17.30 Uhr. Die Marina Lauenburg war voll, wie sich nach einem Telefonat mit der ruppigen Hafenmeisterin ergab, und so landeten wir beim WSV Lauenburg. Dass wir am folgenden Tag noch mehr Kontakt zu der Dame haben würden als uns lieb war, ahnten wir da noch nicht.
Montag, 19. Juli
Um 10 Uhr verholten wir uns in die Marina Lauenburg, direkt nebenan, zum Tanken und Wasser nehmen. Die oben erwähnte Hafenmeisterin war davon überzeugt, dass die Tankpistole immer bis zum Anschlag gedrückt sein müsse, da sonst das Rückschlagventil nicht funktioniere. Gepart mit unserer falschen Berechnung des Dieselbedarfs spritzte schon bald Diesel auf die Gangway und drohte ins Wasser zu gelangen. Die Hafenmeisterin meinte, dass sie das bei alten Schiffen schon öfter erlebt hätte und wir mittels 20 l-Kanistern tanken sollten. Wir quetschten also neben den 25 l die schon durch die Pistole gekommen waren, per Kanister weitere 20 l in den Tank.
Um 12 Uhr ging es wenige hundert Meter über die Elbe in den Elbe-Seiten-Kanal. Nach etwas mehr als einer Stunde erreichten wir das spektakuläre Schiffshebewerk Scharnebeck. Hier werden selbst größte Binnenlastschiffe wie in einer riesigen, 100 Meter langen Wanne 38 Meter senkrecht in die Höhe gehoben. Dieser Vorgang dauert etwa 25 Minuten.
Abends kamen wir nach Bad Bevensen, wo wir an einer Liegestelle für Kleinfahrzeuge festmachten. Hier gibt es allerdings weder Strom noch Wasser. Wir drei sind zu Fuß einkaufen gegangen. Als wir wieder am Boot ankamen, wurden wir von penetrantem Dieselgeruch empfangen. Unter den Bodenbrettern des Salons und im Motorraum stand mehrere Zentimeter hoch ein Wasser-Dieselgemisch. Toll! Ausschöpfen und in den Kanal kippen ist keine Option – was tun? Bootsfrau Nina kam auf die Idee, die Feuerwehr zu rufen. So kam es zu einem denkwürdigen Einsatz der freiwilligen Feuerwehr Bad Bevensen. Zwei Damen und zwei Herren entsorgten unter Leitung des kompetenten Einsatzleiters mittels Handpumpen und Saugvliesen die ungute Melange. Um 21.30 Uhr zogen sie wieder ab. Was blieb, war der Dieselgestank in der Steuerborkabine. Was für den Skipper hieß, ungemütlich auf dem Salonsofa zu nächtigen.
Dienstag, 20. Juli
9.30 Uhr abgelegt. Mit 6 Meilen pro Stunde geht es den Elbe-Seiten-Kanal entlang. Wir passieren Uelzen und wurden kurz danach in der Schleuse Uelzen 23 Meter in die Höhe befördert. Nach weiteren 61 km errichten wir den Mittellandkanal in den wir steuerbord einbogen. Jetzt geht es nach Westen! Beim Braunschweiger Ortsteil Watenbüttel fanden wir Quartier im Sportboothafen des Braunschweiger Motorboot Clubs. Zum Abendessen gingen wir zum Chinesen. Zu Amelies Enttäuschung – ihr schmeckte nichts und sie bekam das geliebte Käsebrot an Bord.
Mittwoch, 21. Juli
Suchbild: Wo ist die Summertime?
Schon gestern hatten wir ein Treffen mit unseren Braunschweiger Verwandten ausgemacht. Zwischen Duschen, Boot aufräumen, Videos gucken (Amelie) etc. haben Konrad und Nina die morgige Strecke geplant. Pünktlich um 17.30 Uhr kamen Irmhild und Hans-Kurt mit dem Auto und fuhren mit uns zunächst zu einem Supermarkt, wo wir Proviant kauften, und anschließend zu einem sehr guten Italiener. Das Restaurant befindet sich interessanter Weise in einem öffentlichen Gebäude.
Donnerstag, 22. Juli
Bei der gestrigen Streckenplanung hatte Konrad zwei Alternativen ausgeguckt: Entweder 70 Kanalkilometer bis Yachthafen Seelze bei Hannover oder 83 km bis Idensen.
Um 9.40 Uhr kam es bei der Ausfahrt aus dem Clubhafen zu einer kleinen Berührung des versenkten Sperrtors mit unserem Kiel. Vorbei an Peine ging es zur Schleuse Anderten. Fast 15 Meter wurden wir abgesenkt. Die Poller in den Nischen der Schleuse sind nicht mehr die neusten und das Umlegen der Leinen gestaltete sich eher schwierig. Hier bewährte sich unsere Routine des Mammut-Überführungstörns von vor 10 Jahren. Danach ging es zügig weiter bis zum Yachthafen Idensen. Wir hatten uns per Telefon einen Platz gesichert und uns nach der Beckentiefe erkundigt. Trotzdem liefen wir bei den ersten zwei angepeilten Plätzen mit dem Kiel auf Schlick. Ein erneuter Anruf ergab, dass es weiter innen tiefer wird. Dort klappte das Anlegen dann. Amelie und ich erkundeten das Hafengelände und fanden auf einer Wiese eine Bühne, die aus alten Frachtschiffen zusammengebaut ist, ein Schiff an Land und eine schöne Blumenwiese – immerhin.
Freitag, 23. Juli
Die Kreuzung MLK – Weser
Um 10.30 Uhr verließen wir den Hafen Idensen. Vor uns nervte ein riesiger Container-Frachter durch langsames Fahren zwischen 4,3 mph und 5,6 mph. In einem Anfall von Hybris und Wahnsinn wollte Bootsfrau Nina den Frachter rechts überholen, angekündigt durch ein entsprechendes maritimes Hupsignal. Sie hatte sich allerdings gefährlich verzockt und fuhr mit ziemlicher Geschwindigkeit gegen eine Ruderboot-Steganlage. Das Boot steckt kurz fest und legte sich plötzlich auf die Seite. Nina wechselte die Seite, Konrad legte den Rückwärtsgang ein und die Summertime war wieder frei. Glück gehabt! Anschließend hetzte Nina über das ganze Boot und prüfte auf mögliche Wassereintritte und andere strukturelle Beschädigungen – nichts. Noch mehr Glück gehabt!! Ob und wie sehr tatsächlich etwas beschädigt ist, werden wir erst erfahren, wenn das Boot ins Winterlager kommt. Es war der Bootsfrau eine Lehre und für uns alle ein gewaltiger Schreck – aber der Rumpf scheint sehr solide gebaut zu sein – das ist ja mal eine gute Nachricht bei alle dem was hier an Bord kaputt ist.
Kurz nach dieser Stelle kreuzt der MLK die Weser bei Minden. Vom Vordeck hat man einen bemerkenswerten Blick, herunter von unserer Wasserstraße, auf die Weser. Abends machten wir in Bad Essen fest. Es ist ein schönes Städtchen mit einem ebensolchen Hafen. Amelie war von dem tollen Sole-Schwimmbad begeistert, so dass wir noch einen Tag blieben, obwohl sich abends lärmende Jugendliche am Hafen zusammenrotteten. Feuerwehr-, Krankenwagen-, und Polizeieinsatz waren die Folge.
Sonntag, 25. Juli
Um 10 Uhr verließen wir Bad Essen. Wir ließen Osnabrück südlich – also links – liegen mit dem Ziel Yachthafen Marina Recke. Wie ein Telefonanruf ergab, war die Marina leider voll. Einzige Möglichkeit in der Nähe war eine Liegestelle für Kleinfahrzeuge zwei Kilometer weiter westlich am Kanal. Diese Liegestellen haben keinerlei Versorgung, weder Wasser noch Strom. Nina erinnerte sich, gelesen zu haben, dass in unmittelbarer Nähe zur Marina ein Waldfreibad läge. Also machten wir drei uns zu Fuß auf den Weg dorthin. Nach einem kleinen Umweg über das Gelände der Marina kamen wir schließlich nach ca. 3 km Marsch beim Waldfreibad an. Baden im Becken, Schwimmen im See. Amelie übte wieder fleißig das Schwimmen. Sie wird immer besser! Auf dem Rückweg machten wir in der Marina Station, in der wir zwar nicht liegen, aber immerhin essen konnten. Rustikal mit Grillgut und Salaten. Nach dem anstrengenden Rückweg zum Boot verbrachten wir eine einsame Nacht am Gittersteg der Liegestelle.
Montag, 26. Juli
Um 9 Uhr legten wir für die letzten paar Kilometer auf dem Mittellandkanal ab. Am sogenannten Nassen Dreieck endet der Mittellandkanal in den Dortmund-Ems-Kanal. Von da an fuhren wir nach Norden. Schon bald tauchte die Schleuse Bevergern vor uns auf, wo es erst einmal warten im Päckchen hieß. Ein mit Chemikalien beladenes Frachtschiff machte dann für insgesamt sieben Schleusen die Pace. Das Schiff passte in der Breite gerade so in die Schleusenkammern, so dass es entnervend langsam hinein und heraus kroch. Zusammen mit sechs Motorern folgten wir. Fast alle Schleusen sind Baustellen. Nicht immer war das Umlegen der Leinen einfach. Trotz unserer Routine wurde es einer der anstrengendsten Tage der Reise. Da es vor den Schleusen keine Wartestege für Kleinfahrzeuge gibt, musste der ganze Konvoi der Sportschiffer während der zum Teil langen Wartezeit Kringel fahren bzw. das Boot durch vor- und zurück Manövrieren auf der Stelle halten. So eine Stress-Schleuserei hatte Konrad noch nie erlebt, obwohl er schon in vielen Ländern viele hundert Schleusen passiert hatte.
Amelie machte das Beste daraus und sah sich die Realverfilmung von Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer auf DVD an. Danach daddelte sie und sah sich Youtube-Videos an. Kein schöner Tag für sie und uns!
Am Abend lagen wir aber sehr schön im Hafen des Ems-Yachtclubs Lingen im Schatten hoher Bäume. Entgegen der Unkerei von Schleusengenossen waren noch ausreichend Gastliegeplätze frei. Die Hafenmeisterin begrüßte freundlich. Nina machte Spaghetti mit Tomatensoße und das Ausspannen konnte beginnen. Zur Freude Amelies spielten Mama und Papa noch eine Weile mit ihr ein Wortspiel. Es gilt aus den Buchstaben eines vorgegebenen Wortes so viele andere Wörter zu bilden, wie einem einfallen. Locker hielt Amelie mit uns Erwachsenen mit.
Immer mehr zeigte sich aber, dass der Überführungstörn für sie nicht schön war. Ungefähr zehnmal am Tag sagte sie, sie wolle nach Hause. So entschlossen wir uns schweren Herzens am nächsten Tag mit Ninas Eltern abzuklären, wann und wo sie Amelie abholen würden.
Dienstag, 27. Juli
Am Morgen rief Nina bei Omi und Opi an, um zu klären, ob Amelie schon in Haren von Bord gehen könnte. Opa hatte erst Bedenken, aber gegen 11 Uhr rief Omi zurück und wir verabredeten uns für den Nachmittag im Yachthafen Haren. So kam es, dass wir erst um 11.30 Uhr starteten. Drei Schleusen widerum mit längerem Kringel drehen lagen auf dem Weg. Um 17.30 Uhr kamen wir im Hafen Haren an, wo wir von Omi und Opi schon erwartet wurden. Auch sie hatten eine Horrorfahrt mit Staus und Umleitungen hinter sich. Stichwort: Explosion bei Bayer Leverkusen! Nach kurzer Bootsbeschau – Ninas Eltern kannten die Summertime bislang nur von Fotos – und dem Umräumen von Amelies Sachen schließlich der traurige Abschied von unserem Kind. Zum ersten Mal ist sie für mehrere Tage von Mama und Papa getrennt. Schwer zu sagen, wer trauriger war.
Unsere netten niederländischen Bootsnachbarn empfahlen uns, für unser Projekt der Bootsüberführung, durch die hiesige Schleuse zu fahren und die Abkürzung durch den Haren-Rüterbrock-Kanal zu nehmen. Unsere Recherchen ergeben jedoch erhebliche Zweifel daran, ob diese Strecke, die uns auch schon vorher einmal empfohlen worden war, überall ausreichend Tiefe für unseren Kiel aufweist.
Haren ist ein adretter Ort mit einer repräsentativen Kirche, die von den Einheimischen wegen ihrer eindrucksvollen Kuppel „Dom“ genannt wird. Bei einem ausgezeichneten Italiener regenerierten wir uns von den körperlichen und seelischen Anstrengungen.
Mittwoch, 28. Juli
Am Morgen telefonierte Konrad mit dem Schleusenwärter in Haren. Er bestätigte seine Befürchtungen und riet uns von der Durchfahrt ab. Also doch die lange Tour bis in den Dollard nördlich Emden und dann durch das niederländische Friesland.
Eigentlich wollten wir an diesem Tag lange fahren, stellten aber fest, dass die letzte Möglichkeit in einem gut ausgestatteten Hafen zu liegen die Marina Emstal bei Kanalkilometer 199 sein würde. Schade, denn eigentlich lief es an diesem Tag sehr gut: Die beiden Schleusen Hilter und Düthe durchfuhren wir schnell und problemlos.
Der Marina Park Emstal kurz hinter dem Örtchen Steinbild ist eine schmucke Anlage aus Ferienhäusern mit Anlegern. Die Bootsnachbarn hatten Besuch und unterhielten sich lautstark bei Marillenlikör den ganzen Nachmittag.
Donnerstag, 29. Juli
Vor der Schleuse Herbrum liegen wir im Päckchen mit einem Pram
Die erwähnten Bootsnachbarn stellten sich als nett, hilfsbereit und Kenner der vor uns liegenden Strecke bis Delfzijl heraus. Überwiegend machten sie allerdings auf die bevorstehenden Probleme aufmerksam. „Wollen Sie sich den Dreck da wirklich antun?“ – gemeint war das schmutzige Wasser unterhalb der Seeschleuse Herbrum. Auch die ab dort auftretenden Gezeiten und die Probleme mit der Berufsschifffahrt in der Emsmündung wurden ausführlich geschildert, was Nina eine schlaflose Nacht bereitete. Auch ihre Infos wann, wir die Seeschleuse passieren sollten, waren nicht hilfreich, da sie die Daten des Flutkalenders von Emden 1:1 auf die viel weiter im Landesinnern liegende Seeschleuse übertrugen.
An diesem Tag war das Schleusen und Festmachen extrem schwierig, da ein heftiger Seitenwind herrschte, der in der Schleusenkammer von Bollingerfähr unberechenbar verwirbelt wurde.
Diese Seeschleuse wollten wir eigentlich an diesem Tag noch passieren, fanden aber im Netz keinen Hafen, der uns bei Ebbe genug Wassertiefe garantierte. Ein langes Telefonat mit dem freundlichen und kenntnisreichen Schleusenwärter der Schleuse Herbrum führte zu einer Planänderung: Wir durften den Rest des Tages und die Nacht im Oberwasser der Schleuse an einem festvertäuten Arbeitsschiff des Wasser- und Schifffahrtsamts festmachen.
Der Plan war, am nächsten Morgen um 6.30 Uhr beim Schleusenwärter anzurufen, mit der Bitte um ein baldiges Schleusen, um mit dem ablaufenden Wasser zügig voranzukommen.
Freitag, 30. Juli
Nach den Unkereien der schon erwähnten Bootsnachbarn von gestern hatte Nina die Befürchtung, Massen von Frachtschiffen könnten morgens die Schleuse belagern und ein frühes Ablegen verhindern. Es kam glücklicher Weise anders. Als der Skipper um 6 Uhr (!) im Cockpit auftauchte war die Schleusenampel auf grün und nur drei der großen Pötte lagen in Warteposition. Während das zweite Berufsschiff schon einfuhr, führte ein rasches Telefonat mit dem Schleusenwärter – es war der freundliche Herr vom Vortag, der so früh schon wieder Dienst hatte – dazu, dass er (während Konrad am Telefon mithörte) über Funk den beiden ersten Berufsschiffern sagte, sie sollten aufrücken, es käme noch ein Sportboot in die Schleuse. Zu diesem Zeitpunkt hatte Konrad noch nicht einmal die Schuhe an … So schnell hatten wir noch nie abgelegt. Wir quetschten uns in aller Eile noch hinten in die Schleusenkammer.
In einem Punkt trafen die Warnungen der Bootsnachbarn vom Marina Emstal dann doch zu: Das Wasser jenseits der Schleuse war derart verdreckt, dass unser Echolot anzeigte, wir hätten gar kein Wasser unter dem Kiel. Glücklicher Weise zerstreuten sich Ninas Befürchtungen bezüglich der hohen Anzahl der Berufsschiffe auf der Strecke Herbrum Delfzijl auch schnell. Uns begegneten auf der ganzen Fahrt an diesem Tag höchstens 5 dieser Schiffe in Fahrt. Kein Vergleich zum Rhein, den wir vor 10 Jahren auf dem Weg ins Mittelmeer mit der Evergreen befahren hatten.
Statt dessen erlebten wir eine angenehme Passage im Morgenlicht durch die idyllische norddeutsche Marschlandschaft rechts und links der Ems. Nach einiger Zeit erhebt sich in der Ferne eine riesige Werkshalle aus den Auen. Wir kamen rasch näher, das abfließende des Gezeitenstroms sorgte fürzunehmend flotte Fahrt, sodass wir schon bald erkennen konnten, worum es sich handelte: Die Meyerweft bei Papenburg. Vor der Halle lag eine äußerlich schon fertiggestellte neue AIDA.
Langsam wurde das Wasser immer rauer und nach der Passage des Emssperrwerks mit Annäherung an Emden richtig ruppig. Das abfließende Wasser von hinten und heftiger Wind von vorne erzeugten eine eklige Welle. Viel Wasser sprühte über das Vordeck und benetzte die Scheiben. Da wir ab hier die Tonnen samt ihrer Nummerierung erkennen und „abhaken“ mussten, kletterte die Bootsfrau mal rechts mal links vor und rakelte, in Ermangelung von Scheibenwischern, die Sicht wieder frei. Bei der grün-rot-grünen Tonne Nr. 53 drehten wir Backbord in den Zeehavenkanaal Delfzijl. Kurz vor Delfzijl geht es, wieder backbord, in den Vorhafen der Schleuse, wo man sich per Gegensprechanlage für die Schleusung anmelden kann. Danach befanden schon wir uns schon auf dem Eemskanal, der uns nach Westen bringen sollte.
Ziemlich erschöpft verließen wir diesen schon bald, wiederum durch eine Schleuse, um für die Übernachtung Appingedam zu erreichen. Hier lagen wir beschaulich mitten in der Stadt im Passantenhaven. Hier sind Restaurants und alle wichtigen Geschäfte in Reichweite, was wir zum Einkaufen nutzten. Nach einem Snack in einem Restaurant direkt neben dem Hafen mit Blick auf die Summertime wurde es eine frühe Nacht.
Samstag. 31. Juli
Am Morgen ging es zunächst mit zwei großen Kanistern zur ebenfalls fußläufigen Tankstelle. Mit 20 Litern mehr Diesel im Tank fuhren wir bei starkem Seiten- und, je nach Richtung des Kanals, Gegenwind in heftigen Regenschauern die Großstadt Groningen an. Hier erfolgte eine längere Pause zum Shoppen und Take-Away-Food kaufen. Leider hatten wir nicht mit der Rückkehr des Regens gerechnet und die Seitenteile der „Kuchenbude“ offen gelassen. Nässe in der Aftkabin und der Ausfall des Kühlschranks waren die Folgen. Ab hier befinden wir uns auf dem Princes Margrietkanal. Im letzten Büchsenlicht erreichen wir Stroobos. Hier im kombinierten Campingplatz/Yachthafen und Bungalowpark verscheuchten wir zwei Angler und belegten den letzten Bootsplatz, nicht ohne sanft mit dem Kiel aufzusetzen.
Sonntag, 1. August
Die Strecke für diesen Tag führte uns weiter auf dem Princes Margrietkanal durch eine Reihe von Seen mit sehr regem Bootsverkehr durch die vielen Sport- und Ausflugsboote. Nach dem Sneekermeer führt unsere Wasserstraße dann nach Süden in Richtung Lemmer. Wir bogen aber schon bald ab in Richtung Heeg, um abzukürzen. Hier war ich in fast heimatlichen Gefielden, lag mein letztes Boot, die Evergreen, doch lange in Heeg.
Bei Warns machten wir im Yachthafen Pyramide fest und namen im kleinen Ort ein schmackhafte Essen ein. Am Nachbartisch saßen zwei deutsche „Boaties“ und schon bald wurde gefachsimpelt. Sie waren offenbar im Besitz eines Bootes mit noch mehr Reperaturanfälligkeit. Als sie hörten, dass wir Hindeloopen als festen Hafen gebucht hatten, war ihre Reaktion erstaunt. Sie ließen durchblicken, dass das ein versnobter Hafen für Neureiche sei. Herumunken scheint unter Boaties verbreitet zu sein.
Montag. 2. August
Die Tankstelle beim Hafen Pyramide war defekt, was aber nicht mit einem Schild oder Ähnlichem kundgetan wurde, sodass wir dort festmachten und Nina lange nach einer Bedienung suchte, bis sie erfuhr was los war. In der Marina Stavoren konnten wir dann tanken.
Das ehemalige „Nadelöhr“, Schleuse Stavoren hatte inzwischen, wie Konrad aus den einschlägigen Zeitschriften wusste, einen Zwilling erhalten, sodass das Schleuden doppelt so schnell geht. Unsere Restaurantnachbarn von gestern hatten uns vor der neuen Schleuse gewarnt. Man könne da nicht so gut festmachen und die Ausfahrt sei schwierig. Beide Schleusenkammern werden immer gleichzeitig mit Booten befüllt und wieder entleert, um die hier vorhandene Brücke nicht noch häufiger hochklappen zu müssen. Wie es das Schicksal wollte, kamen wir, kaum hatten wir die Wartestelle erreicht, als Letzte noch in die anstehende Schleuse und – natürlich in die neue Schleuse. Es ging völlig unproblematisch. Wie gesagt, Unken scheint bei einigen Boaties dazuzugehören.
Jetzt waren wir im Ijsselmeer und unserem Zielhafen sehr nahe! Aus der Abdeckung des Vorhafens heraus empfing uns das Gewässer mit viel Wind und extremem Seegang. Ohne Segel wird man noch heftiger herumgeworfen, als die besegelten Kollegen. Ohne sich ständig mit einer Hand am Haltegriff festzuklammern, die andere am Steurrad, hätte es Konrad glatt aus dem Steuermannsstuhl katapultiert, trotz Armlehnen. Bordfrau Nina bewährte sich als Navigatorin mit dem Fernglas. Bei diesen Verhältnissen die Ansteuerungstonnen von Hindeloopen zu finden, war wahrhaft nicht einfach.
In der gemeinsamen Einfahrt vom kleinen Gemeindehafen und der großen Marina herrschte dichtes Bootsgedränge von ein- und ausfahrenden Yachten. Dazwischen mussten wir backbords in die Einfahrt „unsrer“ Marina abbiegen. Auch hier wieder Gedrängel. Der Hafenmeister rief uns zu wir sollten vorne bei ihm zwecks Anmeldung festmachen. Nina antwortete wir hätten einen reservierten Platz und Konrad fuhr weiter. Mit Hilfe des Marinaplans fanden wir anstandslos unsere Box. Routiniertes Anlegemanöver, wir waren da!
Hindloopen ist eine Puppenstube von einem friesischen Ijsselmeerhafen: Kleine Grachten, putzige Holzhäuser, gepflasterte Straßen, eine eigene Volkskunstmalerei, Galerien, Kneipen, Restaurants und ein schiefer Kirchturm machen den Scharm dieses Ortes aus. Selbst der Supermarkt verbirgt sich hinter der Fassade historischer Häuser. Der Wermutstropfen sind die vielen Touristen, die sich an den Wochenenden hier einstellen.
Die Marina erschien uns übrigens nicht versnobt. Sie bietet viel, vor allem für Amelie: Ein Hallenbad, ein Spielzimmer und ein Kinderbauernhof mit Streicheltieren sind die Highlights für die Kleinen. Nicht zuletzt deshalb fiel unsere Wahl auf diesen Hafen. Auch das Büro ist gut organisiert, wie ich schon in Meckenheim bei der Platzreservierung feststellen konnte. Als ich mich jetzt hier meldete, hatte man schon einen Termin für das Maststellen festgelegt. Dass der Mast hier gut angekommen war wusste ich bereits vom Spediteur und von Anrufen in Hindeloopen.
Wir hatten noch zwei Wartetage bis zum Maststellen, die wir auch zur Erholung gut brauchen konnten.
Am Dienstag, 3. August lernten wir abends ein uriges Lokal kennen, in dem wir nicht zum letzten mal gegessen haben.
Dirk kam am Mittwoch, 4. August mit Ninas Auto an um uns dankenswerter Weise wieder abzuholen und auch er bekam schon mal einen Eindruck von Hindeloopen und seiner Gastronomie.
Am Donnerstag, 5. August war dann Autopacken und Maststellen angesagt. Die Marinamitarbeiter hatten alles vorbereitet. Es zog sich dann mit Frühstücks- und Mittagspausen doch von 10 Uhr bis ca. 15 Uhr, bis wir das Schiff – nun wieder ein Segelschiff – in unsrer Box fest hatten und das Auto startklar war.
Abends war die Familie dann wieder vereint. Amelie wollte Mamma und Papa, die sie möglichst beide gelichzeitig zu umarmen versuchte, gar nicht wieder loslassen. Mit ihr, von Omi gut behütet, die für die Zeit sogar in unser Haus gezogen war, hatten wir natürlich täglich telefoniert. Sie war vorher noch nie länger als eine Nacht von uns getrennt gewesen, hatte sich aber gut mit der Situation zurechtgefunden. Zur Belohnung war ihr versprochen worden, dass sie die ersehnten Haustiere, zwei Meerschweinchen, bekommen sollte. Die konnten wir auch begrüßen. Auch das hatte ihre Omi mit ihr schon erledigt: Käfig, Streu, Futter und alles was man sonst dafür braucht erworben und die ersten Erfahrungen mit den neuen Hausgenossen gemacht.
Ninas und Konrads Fazit zur Bootsüberführung 2021:
Es war für uns anstrengender als die an und für sich längere Überführung der Evergreen von den Niederlanden nach Spüdfrankreich. Die entscheidenden Gründe dafür: Wir sind beide 10 Jahre älter geworden und es war blauäugig anzunehmen, dass so eine Tour für eine Siebenjährige interessant sein könnte. Positiv ist, dass Konrad die Summertime jetzt genauso gut beherrscht, wie die eigentlich handlichere Evergreen und vor allem, dass wir jetzt eine für uns drei bequem große Yacht in gut erreichbarer Nähe liegen haben.